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Statement zur Situation
von Filmkomponisten (01.09.2006)
Sehr geehrte Damen und Herren,
gerne möchte ich Ihrer Bitte nachkommen, Rückmeldungen und Anregungen
zu geben für das Parteiengespräch zum Thema "Kulturwirtschaft
- Beispielhafter Motor für Wachstum und Beschäftigung".
Ich bin 1. Vorsitzender des nordrhein-westfälsichen Berufsverbandes der
Medienkomponisten mediamusic:nrw e.V. sowie Mitglied im Leitungsteam des Branchenforums
SoundTrack_Cologne.
Wir befassen uns seit einigen Jahren eingehend mit der Lage der Kulturwirtschaft
- wobei für uns der Fokus klar im Grenzbereich zwischen Musik und Medien
liegt.
Nach unserem momentanen Kenntnisstand, welcher auf Schätzungen und selbst
erhobenen Zahlen beruht, dürfte es in Deutschland etwa 600 bis 800 Komponisten
geben, die semiprofessionell oder hauptberuflich als Auftragskompsnisten für
Medien, also Film, TV, Radio, Werbung, Theater, Games etc. arbeiten. Diese freischaffenden
Künstler erhalten keinerlei direkte Subventionen, haben in der Regel keinen
Zugang zu Bankkrediten und sind - viel stärker als etwa Urheber und Produzenten
im Tonträgermarkt - zu einem ganz wesentlichen Teil von Tantiemenflüssen
abhängig.
Als Verband nehmen wir uns vor allem der regionalen Anliegen dieser Gruppe an,
als Kongressveranstalter wenden wir uns an die gesamte deutsche und europäische
Branche und kooperieren eng mit anderen Verbänden und Institutionen der
Kultur- und Medienwirtschaft.
Im Anhang finden Sie zwei Pressemeldungen, die SoundTrack_Cologne am vergangenen
Freitag (25.08.2006) im Rahmen einer Pressekonferenz zu SoundTrack_Cologne 3.0
(23.-26. November) veröffentlicht hat.
Die Brisanz der Zahlen, die der Kulturwirtschaftexperte Michael Söndermann
bei uns exklusiv erstmals veröffentlichte, liegt darin, dass sich aus ihnen
leicht ableiten lässt, dass wesentliche Elemente politischer Hilfestellungen
für Kultur- und Musikwirtschaftliche Arbeitsbereiche völlig an denen
vorbeigehen, die diese Bereiche durch ihre Kreativität am Leben erhalten.
Traditionell gehen Fördermaßnahmen ebenso wie Gesetzesinitiativen
eher auf die Bedürfnisse der industriellen Einheiten im Markt ein - doch
diese sind längst nicht mehr die wesentlichen Player. Der Strukturwandel
in der Musikindustrie ist massiv und offensichtlich. Konkret bedeutet das für
die Politik, dass sie sich darauf einstellen muss, mit einer erheblich stärker
ausdifferenzierten Klientel im Bereich der Kreativwirtschaft umgehen zu müssen,
deren Interessen nicht identisch sind mit denen der Industrie - und schwer zu
artikulieren.
Die deutsche Kreativwirtschaft ist - nach Umsätzen
und Beschäftigungszahlen
- längst größer ist als die Branchen Pharma, Chemie, Automobil
oder Bergbau. Nur sind in unserem Wirtschaftsbereich größtenteils
kleine und kleinste Einheiten vertreten, und die haben es traditionell schwerer,
sich lobbymäßig
Gehör zu verschaffen.
Sollten Sie sich über das beigefügte Material hinaus für einen
tieferen Einblick in den Arbeitsbereich Medienmusik interessieren, lohnt sich
ein Blick in das "Jahrbuch Kulturwirtschaft 2005", eine Dokumentation
der Tagung Kulturwirtschaft #2 in Berlin vom vergangenen Dezember. Darin haben
wir zwei Beiträge zur Situation von Medienkomponisten mit Schwerpunkt
auf NRW beigesteuert: http://www.kulturpolitik-kulturwirtschaft.de/Default.aspx?tabid=77 Diese
Beiträge zeigen auf, wie wir es schaffen, subventionsfern in einem stark
durch wettbewerbliche Marktmechanismen bestimmten Umfeld zu bestehen - sie belegen
aber auch, dass es durchaus große Hilfspotenziale gibt sowie einen entsprechenden
Bedarf.
Einen Eindruck von unserer prekären Lage als Urheber zwischen Kunst und
Kommerz, zwischen Film und Musik, verschafft zudem die Ausstrahlung unserer Podiumsdiskussion
vom vergangenen Freitag zum Verhältnis von Filmmusik und Musikkritik:
WDR3, FR 01.09.2006, 23:00 Uhr.
Ein in der Öffentlichkeit völlig verkanntes Problem ist die im Herbst
anstehende Urheberrechtsnovelle (2. Korb). Den Urhebern drohen Verluste im der
Höhe von einigen Hundert Millionen Euro pro Jahr allein durch die Pauschalabgabenregelung
- und der weitausgrößte Teil der betroffenen Urheber ist freischaffend.
Sollte dieses Gesetz also in der vorliegenden Form durchkommen, wird es auch
in den jetzt noch funktionierenden Bereichen der Kulturwirtschaft zu ernsten
Problemen und zu breiten Einbrüchen kommen.
Wir haben mit unserer Pressemeldung beim Kongresstag SoundTrack_Cologne
@ c/o pop am 25.08.2006 begonnen, unsere Position in der
anstehenden Auseinandersetzung
zu artikulieren und sind fest entschlossen, den politischen Druck hinsichtlich
eines verantwortungsvollen Umgangs mit unserer Existenzgrundlage weiter zu
verstärken.
Prinzipiell sehen wir die dringende Notwendigkeit, einen
vertieften Diskurs über
Wert und Wertigkeit kultureller Arbeit zu führen: in der Öffentlichkeit,
in der Politik, aber auch innerhalb der unüberschaubaren Szenen von "Kulturarbeitern".
In einer solchen Diskussion müsste zunächst grundlegende Aufklärungsarbeit
geleistet werden: Darüber, dass die Perspektiven der Verwerter zwangsläufig
nicht identisch sind mit denen der Urheber; darüber, dass beim Film die
tarif- und zeitaufwandsgestützte Bezahlung und das Unwissen seitens Produktion
und Förderinstitutionen fast alle Gewerke überproportional besser stellt
als die Autoren (Drehbuch & Musik); und schließlich darüber, dass
GEZ, GEMA, GVL und die verschiedenen VGs das Rückgrat der gesamten Kreativ-
und Kulturwirtschaft sind - auch wenn das dem Publikum aufgrund der massiven
Komplexität kaum zu vermitteln ist. Wichtig ist auch, immer wieder darauf
hinzuweisen, dass kulturelle Arbeit - welcher Art auch immer - eine unverzichtbare
Rückkopplung für gesellschaftliche Identitätsprozesse ist: Wenn
wir und unsere Kinder nicht lernen, uns selbst zu spüren, zu verstehen,
Sinnliches zu erfahren und zu verbalisieren, dann dürfen wir uns nicht
wundern, wenn letztlich die Kreativen und Innovativen woanders sitzen und uns
auch auf
diesem Feld angreifen. Das ist sicherlich von volkswirtschaftlicher Relevanz
- aber es ist dumm und kurzsichtig, es darauf zu einzuengen.
Hier nun drei zentrale Aspekte, die aus unserer Perspektive dringend in die
Diskussion um den 2. Korb eingebracht werden müssen:
1. Bei der Urheberrechtsreform handelt es sich NICHT um eine Problematik
des Tonträgermarktes - die Diskussion wird jedoch seitens interessierter Interessenvertreter
darauf eingeengt.
Erläuterung: Professionelle Komponisten, die keine Songs schreiben oder
Tonträger veröffentlichen, fallen aus der Diskussion heraus; über
die kalkulatorischen Grundlagen der Berufsfelder, die auf Tantiemenrückflüsse
zwingend angewiesen sind, ist die Öffentlichkeit ebenso unzureichend informiert
wie viele vermeintliche "Experten".
2. "Taiwan vs. deutsche Kreativwirtschaft" - das ist der knappe Nenner,
auf den man die Deckelung und unangemessene Beschränkung von Pauschalabgaben
bringen kann.
Hintergrund: Während mit dem Verlust von Arbeitsplätzen in der IT-
und Technikindustrie gedroht wird für den Fall, dass Pauschalabgaben erhalten
bleiben oder erhöht werden, wird nicht zur Kenntnis genommen, dass in Deutschland
der Bereich der Kreativwirtschaft in Zahlen (Beschäftigte, Umsätze,
Ertrag) längst zu den ganz großen zählt: größer als
Pharma, Chemie, Automobilbranche oder Bergbau. Doch als eine Branche von Klein-
und Kleinstunternehmen fällt es der Kreativwirtschaft ungleich schwerer,
mit einer Stimme zu sprechen. Letztlich ergibt sich eine hochgradig fragwürdige
Rechnung: die Erträge, die der Kreativwirtschaft - trotz eines nach wie
vor gesetzlich verbrieften Anspruchs auf "angemessene Vergütung" -
durch die Deckelung verloren gehen, retten als Quersubventionierung Arbeitsplätze
in Taiwan und China - denn dort werden Computer gebaut und CD-ROMs hergestellt.
3. "Umsonst-Musik für alle vs. Dichter & Denker"? oder:
Wie zivilisiert ist eine Gesellschaft, die sich den Schutz der Ideen nicht
mehr leisten
will?
Erläuterung: Es drängt sich die Frage auf, welche Zukunftsvision
dem Korb II zugrundeliegt:
a. "Geiz ist geil" oder der Kampf über die Stammtischhoheit? Das
Denken in unterkomplexen Zusammenhängen ist die Grundlage des Kampfes gegen
die großen Gs (Gema, GVL, GEZ).
b. das Wissen um und die Verantwortungsübernahme für die Wissensgesellschaft.
Sollte letzteres der Fall sein, dann muss alles daran gesetzt werden, Wert und
Wertigkeit von Kreativität, Innovationskraft, Ideen und den Menschen dahinter
aufzuwerten. Hier sind Entschlossenheit und persönliche Verantwortungsübernahme
gefragt , nicht aber der opportunistische Kampf um Stammtische und Liebesbekundungen
der Verbraucherverbände.
Selbstverständlich stehen wir gerne für Gespräche oder auch für
die Teilnahme an entsprechenden politischen Veranstaltungen zur Verfügung.
Mit herzlichen Grüßen
Matthias Hornschuh
SoundTrack_Cologne 3.0
Kongress zur Musik in den Medien
Marktplatz & Forum
Europäisches Hochschultreffen
Köln, 23.-26.11.2006
Internet: www.soundtrackcologne.de
SoundTrack_Cologne @ c/o pop: 25.08.2006
Internet: www.c-o-pop.de/index.561.html |