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Babelsberger bga-Symposium
Am 16.01.2007 von 14 bis 20 Uhr in der Hochschule für Film
und Fernsehen "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg (HFF)
Karriere von Frauen im Medienbereich
durch berufliche Selbständigkeit
Eine Veranstaltung der bundesweiten
gründerinnenagentur
(bga) und ihrem Regionalpartner ZukunftsAgentur
Brandenburg (ZAB) in Zusammenarbeit und dem Institut
für Berufsforschung und
Unternehmensplanung (IBF) und unter Mitwirkung der Medienboard
Berlin-Brandenburg für Studentinnen und Absolventinnen der
Medienbranche sowie für alle am Thema Interessierte
Das Anliegen:
Der europäische Arbeitsmarkt für
Hochschulabsolventinnen und -absolventen ist in Bewegung:
Immer mehr Frauen mit akademischen Abschlüssen machen sich selbständig
und mischen sich aktiv ins Wirtschaftsleben ein. Die Gründung einer eigenen
Existenz ist nicht nur eine Alternative, sondern gleichzeitig eine besondere
berufliche Chance.
Zunehmend wird die berufliche Selbständigkeit jedoch auch durch strukturelle
Marktveränderungen befördert.
Welche Rahmenbedingungen gründungswillige
und selbständige Frauen vorfinden, welchen Schwierigkeiten
sie trotzen und welche Perspektiven sich ihnen eröffnen, ist
am Beispiel der Medienbranche Thema des Symposiums.
In diesem Kontext werden die spezifischen Aspekte von Gründerinnen im
Medienbereich, die Bedeutung moderner Kommunkationstechnologien für die
Selbständigkeit von Frauen, die Besonderheiten der Marktentwicklung und
die gesellschaftlichen und fachlichen Aspekte der Existenzgründung ebenso
behandelt wie die Unterstützungsmöglichkeiten während und nach
dem Studium sowie im Gründungsprozess.
Dabei steht Potsdam-Babelsberg beispielgebend als attraktiver und zukunftsorientierter
Standort in der Region Berlin / Brandenburg für junge und kreative Unternehmen
der Medienbranche und insbesondere für erfolgsbewusste Frauen mit der
Vision „berufliche Selbständigkeit“ im Mittelpunkt.
Das Symposium
richtet sich jedoch nicht nur an Studentinnen und Absolventinnen aus dem Medienbereich
an bzw. von
Berliner und Brandenburger Hochschulen, sondern soll allen Frauen
mit entsprechender beruflicher Ausrichtung die Möglichkeiten
für eine erfolgreiche Selbständigkeit in Deutschland
aufzeigen.
Programm:
Moderation des Symposiums: Bascha Mika, taz
- Begrüßung und
Teilnehmerregistrierung
- Eröffnung des Symposiums
Prof. Frank Geßner, Vizepräsident der Hochschule
für
Film und Fernsehen "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg
(HFF)
Prof. Dr. Klaus-Peter Schulze, Geschäftsführer der ZukunftsAgentur
Brandenburg (ZAB)
Petra Maria Müller, Geschäftsführerin des Medienboard Berlin-Brandenburg
- Statements
zum Ziel des Symposiums
Christiane Friderich, bundesweiten
gründerinnenagentur (bga) Stuttgart
Ulrich Ruh, ZukunftsAgentur
Brandenburg (ZAB) / Regionalbeauftragter
der bga für das Land
Brandenburg
- Filmische Beispiele zum Thema
- Matthias Haensch, Businessplan-Wettbewerb
(BPW) Berlin-Brandenburg 2007 / InvestitionsBank
des Landes Brandenburg (ILB) / Deutsche Gründer- und UnternehmerTage
(deGUT)
- Selbständigkeit und Frauen
Dr. Wolfgang Krüger, Staatssekretär im Ministerium
für
Wirtschaft des Landes Brandenburg
- Medienmarketing
Dr. Elizabeth Anna Prommer, Prommer
Media Consulting / Akademische
Mitarbeiterin an der Hochschule
für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg
(HFF)
- Besonderheiten
der Freiberuflichkeit im Medienbereich
Adriana Rossi, ifk Interessenverein Freie Kulturberufe e.V.
Referat >>
- Der
Arbeitsmarkt Medien und Netzwerke
Prof. Dr. Klaus-Dieter Müller, Geschäftsführer des Institut
für Berufsforschung und Unternehmensplanung (IBF) /
Hochschule
für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg
(HFF)
- Best
Practice
- Podiumsdiskussion
Andrea Vock, UVA Kommunikation und Medien
Franciska Lion-Arend, imuse.tv
Dr. Elizabeth Anna Prommer, Prommer
Media Consulting
Andrea Schönhuber-Majewski, Imago
TV Film-
und Fernsehproduktion
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin
für Bildung und Forschung a. D. / Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie
Christiane Friderich, bundesweiten
gründerinnenagentur (bga) Stuttgart
- Get together
Referat im Rahmen des Babelsberger bga-Symposiums
am 16.01.2007 (Es gilt das gesprochene Wort.) Besonderheiten der Freiberuflichkeit im Medienbereich
Ich scheine die Rolle des „bad guy“ einzunehmen.
Denn wenn ich Ihnen etwas über die „Besonderheiten der
Freiberuflichkeit im Medienbereich“ erzählen soll, so
geht es nicht, ohne den Glanz dieser Branche etwas einzustauben.
Wobei ich es nicht
bei den Medienberufen allein belassen möchte. Warum? Mein
Name ist Adriana Rossi, ich bin heute hier in der Funktion der
Vorsitzenden
des ifk Interessenverein Freie Kulturberufe. Und ich bin hier,
um Ihnen Ihre Illusionen zu nehmen. Nicht, weil ich ein gemeiner
Mensch bin, sondern genau aus dem gegenteiligen Grund: Ich will,
dass Sie sich vorsehen, vorbereitet sind. Vor allem all diejenigen,
die keine Aussicht auf ein großzügiges Erbe haben, die
keine Ehelichung mit einem finanziell gut gepolsterten Partner
geplant oder gar schon vollzogen haben und dennoch den Sprung in
die Freiberuflichkeit wagen möchten. Mit meinem Wissen um
die Probleme hinter den Kulissen müsste ich Ihnen im Grunde
empfehlen: Sehen Sie zu, dass Sie in einer Festanstellung unterkommen!
(Wobei selbst da die Arbeitsbedingungen mitunter unzulänglich
bis katastrophal sein können.)
ifk
Wie der Name schon sagt, vertritt unser vom Finanzamt als Berufsverband
klassifizierter Interessenverein Freie Kulturberufe ifk neben den
Freien im Medienbereich auch die aus dem der Kunst und Kultur.
Im “richtigen Leben“ bin ich als Journalistin mit Schwerpunkt
Public Relations, also Öffentlichkeitsarbeit, tätig.
Meine ersten Schritte in diesem Beruf unternahm ich 1994. Wäre
ich bei einer Tageszeitung fest angestellt, dann dürfte ich
mich – inklusive des Bonus durch die Berufsjahrestaffelung – jeden
Monat über ein Bruttogehalt von tariflichen 4.167 Euro freuen.
Was ich jetzt stattdessen habe, erwähne ich lieber nicht – ich
will Sie nicht zum Weinen bringen.
Zwar ist mir der Zustand einer Anstellung nicht ganz unbekannt– in
meinem Leben habe ich es auf immerhin zweieinhalb Jahre mit einem
festen Arbeitsvertrag gebracht, doch das war eigentlich mehr als
genug, zumindest was mich betrifft. Insofern war ich bislang wirklich
alles andere als festangestellt. Was mir auch etliche Jahre Gelegenheit
gab, mich mit den Fürs und Widers der Selbständigkeit
ganz persönlich auseinander zu setzen. Was ich ebenso wie
ein Großteil meiner Kollegen da erlebe beziehungsweise erleben
muss, brachte mich vor etwas mehr als dreieinhalb Jahren dazu,
als treibende Kraft den ifk zu initiieren, zu gründen und
voranzutreiben. An die Öffentlichkeit gingen wir erstmals
im Juli 2004. Sprich: noch eine ganz junge Geschichte. Dennoch
haben wir in dieser Zeit bereits eine Versicherung gefunden, die
für uns ein spezielles Paket im Rechtsschutz geschnürt
hat. – Für diejenigen, die es nicht wissen: Freiberufler,
und ganz besonders die aus dem Kunst-, Kultur- und Medienbereich,
stehen bei den Versicherern auf dem Index. – Des weiteren
sind wir seit 1. Januar letzten Jahres Mitglied im Bundesverband
der Freien Berufe (BFB). Wir haben einen großen Infoverteiler
aufgebaut, stehen im Informationsaustausch mit staatlichen, wirtschaftlichen
und berufsspezifischen Einrichtungen und Initiativen. Wir waren
also schon sehr fleißig in dieser Zeit. Und das, obwohl wir
den ifk „nur nebenbei“ betreiben. Wir haben weder Hauptamtliche
noch erhalten wir – leider – irgendwelche Zuschüsse.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Was aber bringt jemanden dazu, sich freiwillig einen solchen Stress
und Wust an Arbeit aufzuhalsen? Antwort: Gerade wegen dieser Besonderheiten,
die uns Freien in den Kunst-, Kultur- und Medienberufen begegnen.
Zweifelsohne gehören vor allem Letztere zu den abwechslungsreichsten,
die man sich vorstellen kann.
Haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie viele verschiedene
Tätigkeiten allein zu den Medienberufen gezählt werden?
Es sind etwa 180. Die Kulturberufe insgesamt umfassen etwa 300 – wobei
es da natürlich teilweise Überschneidungen gibt, beispielsweise
bei den publizistischen oder den Musik-Jobs. Und auch wenn auf
den ersten Blick ein Storyboarder nichts mit einem bildenden Künstler
oder Solosänger verbinden kann – glauben Sie mir, auf
den zweiten gibt es eine Menge kleinster gemeinsamer Nenner.
Jeden Tag bergen diese Berufe neue Herausforderungen, fordern Kreativität
und Liebe zum Detail. Allerdings gehören diese Berufe auch
zu den gefährdeten Arten. Nicht, weil sie vor dem Aussterben
bedroht wären – um dieses Bild weiterzumalen. Im Gegenteil.
Dennoch bedürfen sie eines Schutzes. Denn, sehen Sie: Eines
der Probleme, mit denen wir Kultur-Freiberufler zu kämpfen
haben, ist, dass – abgesehen von den diplomierten – unsere
Berufsbezeichnungen nicht geschützt sind. Was das in der Praxis
bedeutet, dazu komme ich später.
Die freien Berufe
Schauen wir doch erst einmal, was die Profis ausmacht. In einem
Bericht, den der ehemalige Bundesminister Dr. Werner Müller
am 19. Juni 2002 dem Bundeskabinett vorlegte, heißt es (Achtung:
Beamten-Deutsch!): „Freie Berufe erbringen aufgrund besonderer
beruflicher Qualifikationen ihre Leistungen persönlich, eigenverantwortlich
und fachlich unabhängig. Ihre Berufsausübung unterliegt
in der Regel spezifischen berufsrechtlichen Bindungen nach Maßgabe
staatlicher Berufsordnungen. Diese Berufsordnungen werden konkretisiert
durch spezifische Satzungen, die von den beteiligten Selbstverwaltungsorganen
erlassen werden. Kernprofil der Freien Berufe ist ihre hohe Professionalität,
Verpflichtung gegenüber dem Allgemeinwohl, strenge Selbstkontrolle
und Eigenverantwortlichkeit.“ (Quelle: Bundesministerium
für Wirtschaft und Arbeit (BMWA), heute Bundesministerium
für Wirtschaft und Technologie (BMWi))
Doch leider werden all diese positiven Charakteristika der Freiberufler
durch die Gesellschaft bislang nur sehr differenziert wahrgenommen,
vielfach kaum gewürdigt und erst recht nicht immer standesgemäß vergütet.
Während zum Beispiel Rechtsanwälte, Steuerberater und Ärzte
staatlicherseits durch gesetzlich festgeschriebene Gebührenordnungen
existentiell (inzwischen muss man schon sagen einigermaßen)
abgesichert werden, stehen die Vertreter der freien Kulturberufe
ohne jedwede rechtliche Absicherung allein im Regen. Eigentlich
völlig unverständlich, wenn man bedenkt, dass wir einen
Verfassungsauftrag (Artikel 5 des Grundgesetzes [Meinungs- und
Pressefreiheit; Freiheit der Kunst und der Wissenschaft]) erfüllen.
Auch ist dieser Zustand vollkommen unverantwortlich, wenn man sieht,
dass wir unter den Freiberuflern die größte Fraktion
darstellen. In diesem Zusammenhang beachte man auch die krasse
Steigerung: Vor 13 Jahren lag die statistische Zahl der in der
Bundesrepublik Deutschland lebenden Kultur-Freiberufler noch bei
circa 60.000. 2003 waren es 160.000 (von insgesamt 760.615 Freiberuflern),
2004 schon 187.000 (von insgesamt 817.000 Freiberuflern), 2005
hatten wir 198.000 Kultur-Freiberufler, und von den zum 01.01.2006
erfassten 906.000 Freiberuflern sind 215.000 den Kulturbereichen
zuzuordnen. (Quelle: Deutsches Institut für Freie Berufe (IFB)
an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg)
Quantität und Qualität
Doch handelt es sich hierbei nicht nur um eine quantitativ starke
Gruppe. Die in den freien Kulturberufen Tätigen leisten einen
wichtigen Beitrag auch für die sozialkulturelle Entwicklung
des Landes. Und sie ermöglichen Unternehmen, Institutionen
in staatlicher oder freier Trägerschaft sowie Kultur- und
Bildungseinrichtungen flexibler auf wechselnde Bedingungen zu reagieren.
So heißt es beispielsweise bereits in einem Beschluss des
Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Januar 1982
in den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden des Westdeutschen
Rundfunks (WDR) Köln: „Die Rundfunkanstalten sehen in
dem Institut der freien Mitarbeit eine Grundvoraussetzung der Bewältigung
ihrer Aufgabe, Programmvielfalt und umfassende Information zu bieten
und die Programme zugleich auf möglichst hohem Niveau zu halten.“ Die
Heranziehung freier Mitarbeiter ermögliche es, in den Rundfunksendungen
ein wesentlich größeres Feld politischen, wirtschaftlichen,
wissenschaftlichen oder künstlerischen Lebens, des Sports
oder der Unterhaltung darzustellen, als ein gleichbleibender und
fester Stamm von Mitarbeitern dies vermöchte. Sie ermögliche
es ferner, wechselnden Bedürfnissen gerecht zu werden. Sie
biete den Anstalten zugleich die Chance, auf ein größeres
Potential an Fantasie, Einfallsreichtum, Fachkunde und Fähigkeiten
zurückzugreifen und damit qualitativ bessere Programme anzubieten.
Man bedenke jedoch: Was hier so explizit über freie Rundfunkmitarbeiter
gesagt wird, gilt in der Regel für alle Kultur-Freiberufler:
Innerhalb der jeweiligen Branche stellt ein Freier – im Vergleich
zu seinem fest angestellten Kollegen – meistens den motivierteren,
fachkundigeren, flexibleren und moderneren Typ des Erwerbstätigen
dar. Trotzdem ist seine „größere professionelle
Autonomie (...) nicht wie bei Ärzten und Anwälten durch
institutionalisierte Marktmonopole für die Erbringung von
Dienstleistungen gesichert“, wie Prof. Dr. Karin Gottschall
und Dr. Sigrid Betzelt in ihrem Beitrag „Alleindienstleister
im Berufsfeld Kultur – Versuch einer erwerbssoziologischen
Konzeptualisierung“ (ZeS-Arbeitspapier 18/2001) feststellen.
Beide befassen sich seit einigen Jahren im Rahmen von diversen
Forschungsprojekten im Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) an
der Universität Bremen mit den spezifischen Problemen von
Kultur-Freiberuflern.
Altersarmut und weitere Statusfragen
Ein weiterer Satz, der in dem Senatsbeschluss erwähnt wird: „Die
Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigen
neben unbefristet angestellten Arbeitnehmern zahlreiche ,freie
Mitarbeiter', die keinen Arbeitnehmerstatus haben und dem gemäß auch
nicht den arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz genießen." (Quelle:
Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13.
Januar 1982 in den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden
des Westdeutschen Rundfunks (WDR) Köln, s.o.).
Daneben gibt es jedoch noch etliche weitere Bestimmungen des Arbeitsrechts,
von denen Freie nur träumen können. Vielmehr sind zahlreiche
Kultur-Freiberufler beispielsweise oft genug der Willkür ihrer
Auftraggeber, die sie als Kostendämpfungsfaktor für ihre
Unternehmen missbrauchen, schlichtweg völlig ausgeliefert.
Eine Tatsache, die dazu geführt hat, dass viele Kollegen mittlerweile
am Rande des Existenzminimums (oder sogar noch darunter) leben – und
damit auch ihre soziale Absicherung nicht mehr gewährleistet
ist. Konkret bedeutet dies, dass schon heute circa 30 Prozent aller
in der Bundesrepublik arbeitenden Kultur-Freiberufler nicht mehr über
genügend finanzielle Mittel für eine Kranken-, Pflege-
und Rentenversicherung verfügen. Und das, obwohl sie oft über
eine höhere Qualifikation verfügen und wesentlich mehr
Stunden in der Woche arbeiten, als ihre fest angestellten Kollegen.
(Quelle: Institut für Medienforschung und Urbanistik (IMU) – Begleitforschung
für mediafon, das Beratungs- und Kooperations-Netzwerk für
freiberufliche DienstleisterInnen im Medien- und Kommunikationssektor).
Nimmt man diese Aussage ernst – und sie muss im Interesse
einer international wettbewerbsfähigen Entwicklung der Bundesrepublik
Deutschland ernst genommen werden – kommt man unweigerlich
nur zu einer Schlussfolgerung: Mit der gegenwärtigen Ignoranz
der Politik gegenüber der zum Teil katastrophalen Finanzlage
von uns Kultur-Kreiberuflern sowie der teilweise sehr blauäugigen
Untätigkeit des Gesetzgebers, der Entwicklung entsprechend
entgegenzusteuern, droht der Gesellschaft in absehbarer Zeit ein
gravierendes soziales Problem, dessen Ausmaße in der Öffentlichkeit
bisher nicht bekannt sind. Denn wenn sie aus irgendeinem Grunde
berufsunfähig werden, wird vielen Kultur-Freiberuflern der
Gang zum Sozialamt nicht erspart bleiben. Und so ist auch eine
breite Altersarmut in diesen Branchen schon jetzt vorprogrammiert.
Das ist die eine, ganz individuelle Seite. Auf der anderen droht
Deutschland ein deutlicher, ja einschneidender Verlust an kultureller
Kreativität, inspirativer Bildung und intellektueller Kommunikation,
was im größer werdenden Europa einer babylonischen Sprachlosigkeit
gleichkommen wird. Da muss man sich nicht einmal auf das „Programme
for International Student Assessment“, kurz PISA, berufen.
Wer wird, wenn sich diese Situation in potentieller Kontinuität
verstetigt, in fünf, zehn oder zwanzig Jahren – wenn
wir altersbedingt abtreten werden oder müssen – sich
noch als Kultur-Freiberufler für dieses Land engagieren? Ohnehin
droht schon jetzt der Verlust der Ernsthaftigkeit auf allen Ebenen
der Gesellschaft, verliert Deutschland weltweit nicht nur an wissenschaftlich-technischer,
sondern auch an kultureller Überzeugungskraft.
Schwarze Schafe und andere seltsame Tiere
Doch Freie kämpfen nicht nur gegen den Status als „Ein-Euro-Jobber“,
den sie in den Köpfen vieler Auftraggeber inne zu haben scheinen.
Der Druck, unter dem sie arbeiten, wird noch durch einen anderen
Umstand verstärkt: Bei den künstlerischen und publizistischen
Tätigkeiten handelt es sich „um offene Berufe ohne geschützte,
zertifizierte Bezeichnungen, die mit anderen Berufsgruppen um dieselben
Märkte konkurrieren. Zugang zu den Kulturberufen erhalten
Absolventen verschiedenster Aus- und Weiterbildungsgänge an öffentlichen
Universitäten und Fachhochschulen, aber auch an privatwirtschaftlich
organisierten Einrichtungen, beispielsweise der Verlags- oder Designerindustrie.
Weder für die Ausbildungsinhalte, noch für berufliche
Qualifikationen existieren einheitliche Standards, geschweige denn
gesetzliche Festlegungen (Stooß 1999)“, wie Gottschall
und Betzel in ihrem Arbeitspapier weiter dokumentieren.
Das heißt, jeder, der heute beschließt, ab morgen seine
Brötchen als freier Grafiker, Journalist oder was auch immer
zu verdienen, kann dies tun. Leider, wie ich hinzufügen möchte.
Denn diese Leute schaden uns. Beispielsweise hinsichtlich der Leistungsqualität. – Sie
missbrauchen das Vertrauen unserer Kunden, und das lässt sich
nur schwer wieder in Ordnung bringen. – Ein geschätzter
Mitstreiter, der Sozialreferent des IDS Bundesverbandes Deutscher
Schauspieler, Wolfgang Klein, unterscheidet verschiedene Abstufungen
von Leistungserbringern: „Da gibt es den Profi, den Amateur,
den Laien, den Dilettanten. Und es gibt den Eunuchen – der
meint zu glauben, wie es geht, aber er wird es nie können.“
Auch haben diese „Kollegen“, die ganz ohne Ausbildung
und nach dem Prinzip „Learning by Doing“ ins kalte
Wasser springen, einen negativen Einfluss auf die Marktpreise.
Die Profis müssen sich also selbst in ihrem hauseigenen Feld
auch noch mit dieser ganzen Herde schwarzer Schafe um die ohnehin
schon mager- und schwindsüchtigen Tantiemen streiten. Die
fehlenden Zugangsbestimmungen für die Ausübung kulturberuflicher
Tätigkeiten lädt ja so eine Spezies unqualifizierter „Dienstleister“ geradezu
ein, sich den Auftraggebern zur Verfügung zu stellen und die
Honorarforderungen der Freien, die davon leben (müssen), zu
unterlaufen.
Da erscheint es fast wie Hohn, wenn angesichts dieser Gesamtsituation
und des Beitrages, den „wahre" Freie an der Gesellschaft
leisten, beispielsweise Schattendiskussionen über das Für
und Wider von Qualitätskriterien im Journalismus angezettelt
werden, dabei das Problem der Zulassungsrichtlinien oder -beschränkungen
aber nicht einmal erwähnt wird. Dabei sind es doch nachgewiesenerweise
gerade die Freien, die Qualität (zu eben jenen Dumpingpreisen)
liefern (müssen).
_______________________________________________________
Zusammengefasst
Kultur-Freiberufler sind
•
Manager in eigener Sache
•
Akquisiteure
•
Buchhalter
•
Archivare
•
Dokumentaristen
•
Fahrer
•
Ausbilder und Coaches
•
Sekretäre
in einer Person, dazu unglaublich flexibel und kreativ – und
schon allein aus all diesen Gründen einfach tolle Menschen.
Kultur-Freiberufler
•
sind aufgrund ihrer Selbstständigkeit gewohnt und gezwungen,
zeiteffektiv zu arbeiten – (selbst-ständig = ständig
selbst) – Zeit ist für sie deshalb und nämlich
das wertvollste Gut
•
können sich nicht auf andere verlassen, sondern müssen
selbst aktiv werden und auf die anderen zugehen
•
haben keine regelmäßigen Bezüge (bei Zahlungsschwierigkeiten
eines Auftraggebers gehen sie meist leer aus)
•
müssen nach Auftragserfüllung oft noch um die Erledigung,
sprich: Bezahlung ihrer Honoraransprüche „betteln”
•
haben oft nicht das finanzielle Polster, um lange Wartezeiten auf
Rechtsbeistand, mit dem beispielsweise Honorare eingefordert werden,
zu überstehen – jeder Tag zählt, deshalb brauchen
sie schnelle Hilfe.
Kultur-Freiberufler
•
sind nur selten fähig, „Nein!” zu sagen
•
beuten sich selbst aus in Sachen Arbeitszeit und -aufkommen, beispielsweise
durch Vielberuflichkeit; Letzteres bestätigt auch der Geschäftsführende
Justiziar des Bundesverbandes deutscher Fernsehproduzenten, Prof.
Dr. Johannes Kreile: „Schauspieler fahren immer Taxi. Entweder
sitzen sie rechts hinten – oder links vorne.“
•
haben also horrende Arbeitszeiten im Verhältnis zu dem, was
sie dann dafür in der Kasse haben
•
leisten eine Vielfalt von Arbeitsaufgaben, die in keinem Verhältnis
zu ihrem Stunden”lohn” stehen; nicht selten arbeiten
sie für einen effektiven Satz von rund 5 Cent pro Stunde(!)
•
haben kein Freizeitvolumen und können das Wort „Urlaub“ oft
noch nicht einmal buchstabieren
Kultur-Freiberufler
•
kennen keine gesundheitliche Absicherung oder Regenerierung ihrer
Arbeitskraft
•
können sich vorsorgende Gesundheitspflege wie beispielsweise
Kuren nicht wirklich leisten, genauso wenig jedoch, krank zu sein
Kurz und gut: Sie haben nur sich – und damit schlichtweg
den schlimmsten aller Chefs, der gegen sämtliche Bestimmungen
des Arbeitsrechts verstößt. Oder, wie der Journalistenkollege
und Philosoph Dr. Michael Schäf es formulierte: „Wenn
ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag abschlösse,
der diese Konditionen beinhielte, unter denen Freie KulturberuflerInnen
arbeiten, dann würde ihn jedes Arbeitsgericht für sittenwidrig
erklären.“
Kultur-Freiberufler kämpfen also nicht nur gegen
•
Urheberrechtsverletzungen
•
geringe Honorare
•
Ignoranz seitens vieler Festangestellter, die mit einem „Neidfaktor" behaftet
zu sein scheinen. Sicher, die Honorarempfehlungen sehen toll aus – auf
dem Papier. Aber das ist ja bekanntlich geduldig. Abgesehen davon,
dass diese Honorare in der Regel NICHT gezahlt werden, denken leider
nur die wenigsten festangestellten Kollegen obendrein darüber
nach, dass Freie von ihren Honoraren auch Sozialleistungen, die
Büroausstattung et cetera finanzieren müssen.
Kultur-Freiberufler kämpfen auch gegen
•
Organisationen
Beispielsweise beschränken sich in meiner Branche bei der
Akkreditierung viele Einladungen auf Festangestellte oder auf Freie
mit schriftlichen Aufträgen von Medien oder Verlagen. Damit
ist für Journalisten eine freie und unabhängige Berichterstattung
nicht mehr gewährleistet. Als Nebeneffekt fällt dies
dann auch in den Bereich sinkende Qualität und Ethik im Journalismus.
•
Behörden
Ein freischaffende Schauspieler wird nicht als „Selbständiger" eingestuft,
sondern ist vielmehr „unständig beschäftigt“. – Bei
uns hinter den Kulissen heißt das natürlich „unanständig
beschäftigt … – Zur Erläuterung: „Unständig
Beschäftigte" sind Arbeitnehmer (beziehungsweise arbeitnehmerähnliche
Personen), die in keinem festen Arbeitsverhältnis stehen,
sondern hauptberuflich solche Beschäftigungen ausüben,
die jeweils auf weniger als eine Woche begrenzt sind. Auch ständige
freie Mitarbeiter von Rundfunkanstalten sind unständig (im
Sinne der Sozialversicherung) beschäftigt, wenn sie auf der
Basis von Einzelhonorarverträgen mit jeweils weniger als einer
Woche Vertragsdauer tätig sind. (Quelle: Wolfgang Klein)
Anderes Beispiel: Bereits erwähnter IDS-Sozialreferent brachte
im vergangenen Jahr diverse Lösungsvorschläge zur sozialen
Einordnung von Schauspielern in Arbeitslosengeld (ALG) I vor. Von
dem Schreiben, das Wolfgang Klein daraufhin als Antwort erhielt,
hat er sich bis heute nicht erholt: Bearbeitet im Bundesministerium
für Arbeit und Soziales, Referat IIb2, von einer Dame namens
Hella von Oppen, in ihrem Auftrag unterschrieben und datiert auf
den 14.09.2006 von einem gewissen Matthias Rockstroh, wurde die
Berufsgruppe der Schauspieler als „erwerbsfähige Hilfebedürftige“ klassifiziert.
Klein hatte daraufhin sofort diesen Ausdruck in den Wettbewerb
um das Unwort des Jahres geschickt.
Ein anderes Lieblingsthema unter uns: das Finanzamt. Eine Kollegin,
beispielsweise, die Buchdruckkunstwerke nach Gutenberg’scher
Manier fertigt, kämpfte über zwei Jahre um ihre Anerkennung
als Freiberuflerin. Da sie eine Druckerei habe, sei sie gewerblich
und basta, hieß es. Dass sie in ihrem Atelier über keinerlei
elektrische Pressen verfügt und schon allein deshalb keine
Aufträge in hohen Auflagen annehmen könnte, selbst wenn
sie wollte, interessierte die Damen und Herren über lange
Zeit nicht.
Liebe Menschen in den Verwaltungen: Wir können ja nachvollziehen,
dass Sie dies oder jedes nicht wissen. Aber, bitte, lassen Sie
uns wenigstens in Ruhe … unsere Arbeit tun – und verwickeln
Sie uns nicht immer wieder in derlei unnötige Papierkriege!
Auch wenn Sie es nicht verstehen, so akzeptieren Sie doch bitte
zumindest, dass wir einfach in keine der vorgegebenen Schubladen
passen.
Apropos „Schublade“. Ebenfalls ein schönes Thema.
Eigentlich wollten wir im Rahmen unseres Verbandes jedes Jahr ein
Symposium veranstalten, möglichst in jeweils einem anderen
Bundesland. Das erste hielten wir im November 2004 ab, teilfinanziert
durch Mittel aus dem „Europäischen Sozialfonds (ESF)
Ziel 3 Förderung von Informationsveranstaltungen zur Existenzgründung,
Existenzfestigung, Betriebsübernahme und Betriebsübergabe
/ zur Qualifizierung in wichtigen Dienstleistungsfeldern“,
die wir über das Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg
erhielten. Doch schon 2005 gab es diese Unterstützung nicht
mehr. Das Programm, das eigentlich mehrere Jahre hätte laufen
sollen, wurde gestrichen – mit der Begründung: Die Nachfrage
sei zu gering gewesen.
Medienstandort oder Provinz?
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt der Probleme, mit denen sich
Freie Kulturberufler Tag für Tag herumplagen. Themen, die übrigens
bereits seit Jahren bekannt sind und unter den Kollegen schon mindestens
genauso lange diskutiert werden.
Wenn Sie von mir eine Empfehlung haben möchten: Die wichtigste
hatte ich Ihnen ja eingangs schon genannt: Festanstellung suchen!
Ansonsten: wenn ich Ihnen sage: „Gehen Sie an einen Medienstandort“,
so treten Sie sich mit ihren Kollegen gegenseitig auf die Füße.
Sprich: sie haben eine große Konkurrenz.
Wenn ich Ihnen sage: „Gehen Sie in aufs Land, da gäbe
es noch jede Menge Arbeit, gerade in den Medienberufen“,
begegnen Ihnen dort Unwissenheit und Ignoranz vermutlich an jeder
Ecke.
Ausnahmen gibt es natürlich überall. Das Heavy Metal-Label „Nuclear
Blast“ etwa, das weltweit zu den Top-Marken gehört und
bekannte Bands wie „Stratovarius“, „Manovar“ sowie „Such
A Surge“ hervorgebracht hat – Nicht-Metaller kennen
sicherlich „Nightwish“ –, ist in Donzdorf angesiedelt.
Dabei handelt es sich – entgegen des „-dorf“ im
Namen – um eine Klein(st)stadt am Fuße der Schwäbischen
Alb. Nur wenige Kilometer davon entfernt liegt Süßen.
Hier wird in der Kunstgießerei Strassacker der weltweit bekannte
und begehrte „BAMBI“ hergestellt.
Wer in einem dieser oder ähnlicher Betriebe als Festangestellter
arbeitet, darf gerne ein Künstler sein. Der ist dann auch
von der Gesellschaft anerkannt. Aber machen Sie den „Fehler“,
es auf selbständiger Basis zu versuchen, und sie müssen
jeden Monat erneut ums Überleben kämpfen, dann ernten
Sie nur Bedauern. Oder Verständnislosigkeit. Vergangene Woche
rief mich eine Grafikerin aus Oberfranken an und meinte: „Wenn
ich gerade mal wieder nicht so viele Aufträge habe, sagen
mir die Leute: ,Na, dann geh doch zur HUK.’ Aber es kann
doch nicht jeder Coburger bei dem Versicherungsträger tätig
sein, nur weil er hier in der Gegend der größte Arbeitgeber
ist.“
Fazit
Wir „alten Freien" sind gewohnt, unser Schicksal – trotz
aller Widrigkeiten – immer wieder in die eigenen Hände
zu nehmen, auch wenn es meistens jeder für sich allein tut.
Doch wie in vielen anderen Wirtschaftszweigen werden viele, heute
noch Festangestellte in den Kulturberufen künftig zu uns in
die Selbstständigkeit gedrängt werden. Die Gruppe der „Freelancer" wird
weiter wachsen. Und damit ihre Probleme. Was also können wir
in unserem bescheidenen Rahmen bewegen?
Die einzige Möglichkeit, endlich etwas Gerechtigkeit in die
Welt der Freien zu bringen ist, dass sie sich selbst vertreten – und
zwar geschlossen! Nun verstehen Sie, warum wir eine gemeinsame
und unabhängige Interessenvertretung der Freien Kulturberufe
gegründet haben.
Denn Kultur-Freiberufler
•
brauchen Netze
•
benötigen konkrete Ansprechpartner
•
bedürfen Rückenstärkung
•
brauchen Schutz
•
begehren Plattformen, auf denen ihre Alltagsprobleme besprochen
werden, auf denen sie sich austauschen können.
Deshalb besteht neben dem bundesweit agierenden ifk noch ein lokales
Netzwerk im Landkreis Göppingen, das ebenfalls auf meine Bemühungen
hin installiert wurde. In einem solch stark industriegeprägten
Gebiet eine ganz besondere Herausforderung. Nach einer dreimonatigen
Vorbereitungszeit fand im Juli 2005 die erste Zusammenkunft unter
dem Namen „KulturFreienTreff“ (KFT) statt. Seitdem
kommen wir in der Regel an jedem ersten Dienstag Abend im Monat
zusammen, stehen unter anderem im Austausch mit der Initiative
MedienRegion Stuttgart, einer Initiative der baden-württembergischen
Wirtschaftförderung. Es ist also nicht einfach nur ein Stammtisch.
Vielmehr haben sich bereits einige größere Projekte
daraus ergeben, zum Beispiel der erste, Anfang Juli letzten Jahres
veröffentlichte „Kultur-Almanach“, in dem alle
Städte und Gemeinden des Landkreises vorgestellt werden. Des
weiteren ein Seminarangebot unter dem Namen „PR-KnowHow“ und
ein regionales Portfolio. In jüngster Zeit bewegen wir uns
auf der Ebene der bildenden Kunst sogar international und interkontinental.
So etwas kann jedoch nur funktionieren mit enorm viel Disziplin
und jeder Menge ehrenamtlichen Engagements, denn außer Lob
bekommen wir von Hauptamtlichen nichts.
Offenheit
Was es aber vor allem braucht ist Offenheit. In
einem Rundgespräch
zum Thema: „Investigativer Journalismus in Deutschland“ am
31. März 2001 meinte der Journalist Hans Leyendecker: „(…)
Ich habe einige Male in Amerika die Erfahrung gemacht, dass ich
mich dort sehr geniert habe, wenn die amerikanischen Kollegen über
ihre Arbeit, zum Beispiel wie eine Recherche aussieht, berichteten.
Ich erinnere mich dabei immer noch an eine wunderbare Kollegin
aus Phoenix, Arizona. Sie hatte die Atomwaffenversuche in der Wüste
Nevada recherchiert und das tatsächlich für zwei Jahre
mit einem Team. Die hatte dann so einen langen Quellenkatalog und
man diskutierte darüber, ob ihre Wege richtig waren und ich
saß ganz klein da und dachte: ,Irgendwie muss ich mich hier
schminken, wenn die Dich gleich fragen, was machst Du eigentlich?’ In
der Regel sieht ja unsere Arbeit sehr viel anders aus. Die amerikanischen
Kollegen haben zum Teil ganz andere Voraussetzungen. Ich bin mit
der Absicht, wie auch viele andere Kollegen, hier, dass man für
den recherchierenden Journalismus wirbt, der in diesem Lande durch
Meinungsjournalismus und andere Dinge keine sehr große Kultur
hat. Wir haben keinen sehr großen Rückhalt bei den Intendanten
oder beim Verleger, das heißt wir setzen uns größeren
Widerständen aus. Man muss sich zusammensetzen und die Erfahrungen,
die in anderen Ländern gemacht werden, aber auch unsere eigenen
Erfahrungen diskutieren. Woran mir sehr liegen würde, wäre,
dass ein solcher Verein dazu beitragen könnte, dass man in
einem gewissen Zeitraum einen Kongress oder etwas ähnliches
organisiert, in dem Kollegen über ihre Arbeit und über
die Schwierigkeiten, die dabei auftreten, reden. Wir sprechen ja
im Grunde genommen nie über Handwerk. Wir reden nur darüber,
ob einer gut schreiben kann. Deshalb werden wir, die sich im recherchierenden
Journalismus tummeln, manchmal auch gefragt, ob wir Detektive seien.
An dieser ganzen Schizophrenie merkt man eigentlich, dass wir über
das, was wir in Ansätzen in Sachen Recherche machen, mehr
reden müssten. Diskutiert werden muss auch, unter welchen
Voraussetzungen zum Beispiel Fernsehleute mit Printleuten zusammenarbeiten
und welche Geschichte dabei herauskommt, die vielleicht ohne diese
Kooperation nicht entstanden wäre. Der Verein müsste
auch im Bereich der Ausbildung etwas machen, dazu muss sicherlich
auch ein Journalistenpreis gehören, der sich vom Wächterpreis
unterscheidet. Ein solcher Preis darf dann aber auch nicht denjenigen
auszeichnen, der am leichtesten bei einem Anwalt die Akte gezogen
und daraus eine Enthüllungsgeschichte gemacht hat, sondern
man muss wirklich darauf achten, wo jemand für seine Recherche
was ausgegraben hat und auch mit großer Hartnäckigkeit
drangeblieben ist. Auch glaube ich, dass veröffentlichte Negativlisten
sinnvoll sind, die aufzeigen, wer zum Beispiel am rigidesten war
und Journalisten den Informationszugang verweigert hat. Das hat
jetzt nicht nur etwas mit dem Freedom of Information Act zu tun,
sondern vielmehr mit einer gewissen Solidarität der Leute,
die wir brauchen. Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland so
ein Netzwerk, wie zum Beispiel. in Skandinavien schaffen können,
wo dann der eine Journalist aus dem Süden seinen Kollegen
im Norden anruft und fragt: ,Du hast doch mal an der Geschichte
gearbeitet, wie kommst Du weiter?’ Wir stehen ja doch zu
häufig in Konkurrenz miteinander. Aber wir können andere
Dinge erreichen. Ich glaube, dass man auch schon durch symbolische
Akte, wie zum Beispiel eine Negativliste, bei den Kollegen, die
als Einzelkämpfer unterwegs sind, ein gewisses Gemeinschaftsgefühl
schaffen kann. Man kann auch dann stärker auftreten, wenn
man zu definieren versucht, was Journalismus eigentlich ist. Wenn
Sie mit Chefredakteuren über Recherche diskutieren, ergibt
es sich oft, dass die Chefredakteure sagen: „Ich weiß gar
nicht, worüber Sie reden, wir recherchieren alle.“ Die
haben das auch immer alle ganz hervorragend in ihrem Leben gemacht.
Doch die meisten, so glaube ich, verstehen darunter, dass man ohne
Hilfe der Sekretärin eine Telefonnummer findet. (…)“ (Tagung
der Friedrich Ebert Stiftung „Recherchierender Journalismus
in Deutschland“ in Simmerath-Erkensruhr, 30.-31.03.2001) Nun, im Bereich des (investigativen) Journalismus allein haben
wir es (noch) nicht versucht. Aber wir haben etwas anderes geschafft:
Dass Vertreter aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen sich kennen
lernen, sich gegenseitig zuhören und Gemeinsamkeiten entdecken,
auf denen man etwas aufbauen kann. Ich hoffe, dass sich diese Erkenntnis
auch andernorts durchsetzt.
Adriana Rossi/Dr. Michael Schäf
(2003-2007)
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