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Dr. Dr. h.c. Walther Zügel

Profitiert die Wirtschaft von der Kultur
und die Kultur von der Wirtschaft?

Vortrag bei der IHK Region Stuttgart
05.12.2007

- Es gilt das gesprochene Wort -

Der bekannte norwegische Komponist Edvard Grieg hatte in seinem Haus über den Fjorden von Bergen Abendgesellschaften veranstaltet, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Natürlich waren viele Künstler anwesend, aber auch Bankiers. Auf die verwunderte Frage von Künstlern, warum Edvard Grieg Bankiers einlädt, war die lakonische Antwort: „Mit Bankiers – heute Bankern – kann man auch über Kunst reden, mit Euch nur über Geld“.

Nachdem ich über 25 Jahre lang für Geld verantwortlich war, sich meine Liebe zu Kunst und Kultur aber schon seit meiner Jugendzeit entwickelte, trifft der Satz von Edvard Grieg auch auf mich zu. Deshalb auch der heutige Vortrag unter dem Thema:

„Profitiert die Wirtschaft von der Kultur und die Kultur von der Wirtschaft?“

Eigentlich – wenn man darüber nachdenkt – ist dies selbstverständlich; aber wie die verschiedenen Wechselwirkungen zustande kommen, das sollte uns heute einmal interessieren.

Besser wäre, das Thema, „Kultur und Wirtschaft“ zu nennen, denn zwischen diesen beiden Begriffen ist mehr Wesensverwandtschaft als normalerweise erkannt wird.

Diese Behauptung wird Widerspruch auslösen; aber ich bin zuversichtlich, den Nachweis antreten zu können.

Wirtschaft steht normalerweise für Broterwerb. Sie ist rational, berechnend und ertragsorientiert. Kunst und Kultur hingegen gelten vielen als sprichwörtlich brotlos. Sie seien die emotionale Seite unseres Lebens. Sie seien zwar erwünscht, aber nicht zwangsläufig zum Leben notwendig. Oscar Wilde sagt: „Alle Kunst ist ganz zwecklos – und gerade das macht sie so wertvoll“.

Benötigen wir Menschen zum Leben nur Essen, Kleidung, Wohnen? Oder benötigen wir – um ein menschenwürdigeres Leben führen zu können – Kunst und Kultur?

Schon in der Bibel heißt es: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“. Nur war das natürlich in einem anderen Zusammenhang gesagt, aber zu unserem Menschsein gehört mehr als nur die Befriedigung von Existenzbedürfnissen.

Selbst in der Frühgeschichte der Menschheit sehen wir, dass sich die Jäger und Sammler mit kulturellen Dingen beschäftigten.

Vor einem Vierteljahr machte der Tübinger Ur- und Frühgeschichtler Nicholas Conrad zusammen mit seinem Team einen sensationellen Fund: eine kleine Mammutplastik, 3,7 Zentimeter lang, und vollständig erhalten, in der Abraumhalde vor dem Eingang der Vogelherdgrotte auf der Schwäbischen Alb.

Diese erste künstlerische Betätigung des Menschen ist vor ca. 35.000 Jahren entstanden. Ähnlich auch eine Pferdeskulptur aus der Vogelherdhöhle und eine Löwenmensch-Statuette aus der Hohlensteinhöhle.

Weder in Asien noch in Afrika gibt es frühere Bildnisse künstlerischen Schaffens. Es klingt vermessen - aber die Kunst wurde nach heutigen Erkenntnissen auf der Schwäbischen Alb erfunden.

In der französischen Chauvethöhle hatte die Malerei der Vorzeit dann bereits einen prachtvollen Höhepunkt. Ein halbes tausend Tierbilder bedecken die Wände dieser Höhle der Vorzeit. Und – diese Bildwerke sind 3.000 Jahre später - vor 32.000 Jahren entstanden.

In der Gegenwart trägt die Kultur zunehmend zum Wirtschaftsleben bei. Sie ist auch immer weniger zwecklos im Sinne von Oscar Wilde, sondern sie ist auf wirtschaftliche Zwecke ausgerichtet und ihnen unterworfen. Denken Sie nur an die Buchproduktionen, die trotz der Medienwirtschaft immer noch einen ganz wesentlichen Teil unserer kulturellen Landschaft prägen, oder z.B. an das Produktdesign, das sich als künstlerische Leistung in jedem produzierten, verkauften Gegenstand verbirgt.

Die Geschichte lehrt uns die Wechselbeziehungen zwischen Wirtschaft und Kultur. Religiöse, kulturelle Ziele führten zu einer beispiellosen Blüte der Wirtschaft. Es sei an Babylon, an Ägypten, an Griechenland, ja an Rom erinnert. Gerade auch die Bautätigkeit im Mittelalter von Klöstern und Burgen und die Explosion künstlerischen Schaffens in der Renaissance sind beredte Beispiele und Beleg, dass Kunst und Kultur die Wirtschaft vorantreiben.

In der Renaissance haben sich - neben anderen sehr einflussreichen Familien – besonders die Medici in Florenz die Förderung der Künste angelegen sein lassen. Sie bauten das größte Bankhaus Europas auf, häuften die größten Reichtümer an und errichteten die prächtigsten und höchsten Palazzi. Sie waren die größten Kunstförderer und Sammler der Renaissance. Ohne sie hätte es keine „Divina Commedia“ von Dante gegeben, keinen Leonardo da Vinci, keinen Lehrstuhl für Galileo Galilei, keinen David von Michelangelo und keine Uffizien. Nach dem Vorbild des Großvaters holte Lorenzo il Magnifico (1449 – 1492) Maler, Philosophen und Dichter an seinen Hof. Für die damalige Wirtschaft, die noch keine Industrialisierung kannte, der ideale Nährboden, um zu Wohlstand zu kommen.

Die Förderung der Künste in den anschließenden Jahrhunderten in Spanien, den Niederlanden, in Burgund, im Reiche Habsburgs – um nur wenige zu nennen – hatte eine bespiellose wirtschaftliche Blüte nach sich gezogen. Handelshäuser, Manufakturen, bedeutende Banken wie die süddeutschen Fugger und Welser, profitierten sogar vom kriegerischen Geschehen ihrer hochadligen Schuldner.

Glanzvolle Höfe mit prächtigen Bauten und Einrichtungen legten Zeugnis ab von Macht und Reichtum. Den Künsten kam dabei die Aufgabe zu, dies durch ihre Arbeit manifest zu machen. Hochkulturen und Blüte der Künste gingen mit einem konjunkturellen Aufschwung einher, der für viele Arbeit und Brot, ja Wohlstand mit sich brachte.

Dass Reichtum und Repräsentationssucht nicht ausgestorben sind, zeigen beispielhaft in der Gegenwart die beiden in dieser Generation zu Milliardären gewordenen französischen Unternehmer Bernard Arnault und François Pinault. Sie konkurrieren im Sammeln moderner Kunst und damit verbundenen Museumsbauten erbarmungslos um die Spitze in Europa.

Einen hybriden Ausbruch stellt derzeit der internationale Kunstmarkt dar. Selbst junge Künstler, wie aus der Leipziger Schule Neo Rauch und Tim Eitel, haben Aufträge gebucht, die sie bis an ihr Lebensende beschäftigen könnten. Dieser internationale Markt ist zur Börse verkommen. Nicht mehr die Kunst steht im Vordergrund, sondern die Gier nach Gewinn. Alles ist auf dieses Ziel ausgerichtet. Galeristen, Auktionshäuser, Künstler, Sammler wirken zusammen.

Nichts scheint diese Auswüchse bremsen zu können. Rund 30 Prozent Preissteigerungen auf die schon hohen Preise innerhalb der vergangenen zwölf Monate meldet die Auktionspreisdatenbank artprice.com für die Werke zeitgenössischer Kunst, ob Julius Schnabel, Anselm Kiefer, Georg Baselitz, Gerhard Richter, Sigmar Polke und andere.

Große Summen von Schwarzgeld werden in diesem Markt weiß gewaschen. Die Mafia ist genauso dabei, wie schnell reich gewordene Chinesen, Russen, Amerikaner und Europäer. Aber wie bei allen Börsen-Booms wird eines Tages die Blase platzen und für ein böses Erwachen und Ernüchterung sorgen.

Nach diesem kleinen Ausflug zurück zu unserer Kulturlandschaft.

Die öffentlich getragene und finanzierte Kultur in Deutschland mit ihren Theatern, Orchestern, Museen und den vielen anderen Sparten trägt erheblich zum wirtschaftlichen Wachstum und Wohlstand unserer Gesellschaft bei.

In unserer Landeshauptstadt gibt es die Fülle von kulturellen Einrichtungen, von den größten bis zu den kleinsten, ja Experimentierbühnen. Mehr als 3 Mio. Besucher zählen die Kultureinrichtungen – Musicalveranstaltungen im SI und Veranstaltungen in der Schleyer-Halle nicht eingerechnet. Wesentlich mehr Personen besuchen die Vorstellungen von Staatstheater und Theaterhaus, als das Massenereignis Fußball bei VfB oder Kickers. Mehr Museumsbesucher in Deutschland gibt es jährlich als Besucher bei allen Spielen der Bundesliga.

Fakt ist aber auch, dass weit mehr als die Hälfte der Menschen in diesem Land sich nicht für Kunst und Kultur interessieren. Es sind zehn Prozent der Bevölkerung, die gelegentlich Theater, Museen, Bibliotheken oder Konzerthäuser aufsuchen. Zwischen drei und fünf Prozent tun es regelmäßig. Aber neunzig Prozent der Mittel, die in dieser Republik für die Kunst ausgegeben werden, sind öffentliche Mittel, nur zehn Prozent kommen aus privatem Vermögen. In Deutschland ist also die Kultur fast vollständig vom Staat abhängig (Milow). Kunst wird es in einer hochgradig effizienten Wirtschaftswelt künftig schwieriger haben, wenn sie wenig nachgefragt wird. Aber Kunst kann nicht der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung unterworfen werden – obwohl sie mit ihren Haupt- und den nicht rechenbaren Nebenwirkungen dann sogar häufig mehr als bestehen kann.

Das sei am Beispiel Mozartjahr 2006 nachgewiesen. Wohl liegen keine exakten Zahlen für Salzburg vor, aber wer die Salzburger Festspiele kennt, weiß, welche Bedeutung sie nicht nur für Stadt und Land Salzburg haben, sondern wie weit sie in den Tourismus Österreichs hineinwirken. Die Zuschüsse zu den Salzburger Festspielen haben etwa einen drei- bis vierfachen Faktor an Einnahmen aus dem Umfeld dieser Festspiele.

Die FAZ titelte zum Mozartjahr 2006 „Mozart beschert Österreich Millioneneinnahmen“. In Salzburg wurden 2,2 Millionen Übernachtungen – ein Zuwachs von 20 % - und in Wien mehr als 9 Millionen – ein Zuwachs von 10 % - gezählt.

Im Geburtshaus und Wohnhaus Mozarts in Salzburg hatten 600.000 Besucher Einlass begehrt. Im „Mozarthaus Vienna“ 200.000; jeder Vierte kam aus dem Ausland. Ein Künstler – auch 250 Jahre nach seiner Geburt - sorgte für einen wirtschaftlichen und touristischen Boom.

Gerade die vielfältigen wirtschaftlichen Anforderungen an Personal, Ausstattung, Künstlerauftritte, Garderoben lassen ahnen, was auch indirekt wirtschaftlich ins Gewicht fiel.

Die Künstler des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts, Maler und Bildhauer, sorgen auch heute für größtes Interesse, was mit erheblichen wirtschaftlichen Wirkungen einhergeht. Ich nenne nur Namen wie Braque, Cézanne, Max Ernst, Kandinsky, Kirchner, Nolde und Picasso, um nur einige herauszuheben - die großen Künstler vorhergehender Jahrhunderte natürlich mit einbezogen.

Internationale Ausstellungen von Malergrößen setzen einen beachtlichen und stetig steigenden Kunsttourismus in Gang, mit erheblichen wirtschaftlichen Wirkungen für die Länder und Städte, in denen solche Ausstellungen fast ganzjährig stattfinden. Es seien nur beispielhaft das MoMa in New York und die Tate Gallery in London aufgeführt.

Zurück in die Bundesrepublik: warum ist die Kulturförderung im wesentlichen Aufgabe der öffentlichen Hand? Das hat historische Gründe.

Wenn wir in den deutschen Südwesten schauen – unmittelbar vor der Neuordnung Europas durch Napoleon zu Beginn des 19. Jahrhunderts – sehen wir, dass es über 70 selbständige Territorien gab, die im Wettbewerb um ihr Ansehen sich besonders der Kunst und Kultur bedienten. Alle bedeutenden und weniger bedeutenden Höfe hatten Orchester, Theater, Ballette. Man hatte den Eindruck, nicht um der Kultur Willen waren diese Aufwendungen getätigt, sondern um der Repräsentationssucht der großen und kleinen Herrscher zu genügen.

Bedeutende Höfe in unserem Raum waren natürlich Mannheim, unter Karl Theodor eine kulturelle Hochblüte erlebend, genau so wie Ludwigsburg unter Karl Eugen. Die oberschwäbischen Fürstenhöfe, ja kleine Grafschaften, wetteiferten. Die Untertanen waren zu diesen kulturellen Ereignissen nicht geladen, ja auch nicht zugelassen, sondern hatten nur mit hohen Abgaben zu diesen Ereignissen beizutragen.

Man hat den Eindruck, dass bis in die Gegenwart hinein aus dieser Tradition heraus es selbstverständlich ist, dass der Staat für Kunst und Kultur zuständig ist. Die kulturelle Vielfalt zeichnet gerade auch unser Bundesland aus. Nirgendwo sonst gibt es diesen dezentralen Reichtum an kulturellen Ereignissen und Kultureinrichtungen.

Ganz anders dagegen in den USA: Dort gibt es praktisch keine öffentliche Kulturförderung. Sie wird den Privaten überlassen, denen dafür weit gehende Steuerkompensation gewährt wird. In Deutschland ist wohl ein vielfältiges Förderungsinstrumentarium vorhanden, es gewährt dagegen wenig Steuervorteile. Das private Mäzenatentum, worauf auch die europäischen Staaten setzen, genießt dagegen nicht dieselben Anreize wie in den USA.

Das hat aber natürlich zur Folge, dass, wenn der Staat schon die Aufgabe hat, durch sein aktives Handeln die Freiheit von Kunst und Kultur zu sichern, so wird ihm dies auch am besten gelingen, indem er die Kultur selbst in die Hand nimmt. Folglich fördert der Staat nicht nur die Kultur, sondern er lenkt sie auch, indem er Einfluss auf den Kulturbegriff nimmt, indem er ein Angebot bereithält, von dem er glaubt, dass es die Bürgerinnen und Bürger nachfragen sollten. Das hat manchmal kuriose Folgen.

Baden-Württemberg wird schon seit etwa 30 Jahren von einer Museumsepidemie heimgesucht, weil sich in den Achtziger Jahren die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass man etwas tun müsse, um auch den Dörfern und Kleinstädten ihre Identität zu bewahren und den Bewohnern die Identifikation mit ihrem Wohnort zu erleichtern. Während man 1977 nur etwas mehr als 400 Museen zählte, sind es heute über 1.100 – also eine Steigerung um weit mehr als das Doppelte, und das in einem Zeitraum von wenig mehr als 30 Jahren. Dabei hat die Zahl der Museumsbesucher nicht wesentlich zugenommen.

Seit vielen Jahren schon gibt das Land Baden-Württemberg etwas mehr als ein Prozent seines Haushalts-Volumens für Kunst und Kultur aus. Die Partnerschaft mit den Kommunen ergibt nochmals Beträge, die in ihrer Gesamtheit erheblich sind.

Nun ist aber Kultur nicht nur ein Wirtschaftsfaktor in ihrem eigenen Feld, sondern Kultur ist Impulsgeber für die Wirtschaft. Zu denken ist vorab an die angewandten Künste wie Architektur, Mode, Design. Völker mit langer und vielfältiger Kulturtradition, wie zum Beispiel Italien, sind in der Regel auch Pioniere in ökonomischen Sparten, die künstlerisches Flair voraussetzen.

Wer in einer kulturellen Umgebung verwurzelt ist, profitiert davon – bewusst oder unbewusst – und setzt den kulturellen Hintergrund auf vielfältige Art auch im wirtschaftlichen Alltag um. Die kulturelle Infrastruktur hat eine ganz bedeutende Rolle als lokaler, regionaler oder nationaler Standortfaktor. Unternehmen siedeln sich bevorzugt dort an, wo ein gutes kulturelles Angebot zur Verfügung steht.

Aber neben der Infrastruktur als äußere Schale spielt für die wirtschaftliche Entwicklung einer modernen Wissens- und Informationsgesellschaft in erster Linie das geistige Potential ihrer Menschen die bedeutende Rolle.

Es geht darum, geistig Schritt zu halten mit den Anforderungen, die die ständig wachsenden Mengen an Information an uns stellen. Die Schlüsselqualifikation in der modernen Berufswelt sind Kreativität, Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem, Kommunikationsfähigkeit und soziale Kompetenz. Bei zunehmender Globalisierung der Wirtschaft tritt die Notwendigkeit hinzu, Verständnis für kulturelle Eigenarten anderer Gesellschaften zu entwickeln.

Diese im weltwirtschaftlichen Wettbewerb notwendigen Qualifikationen und Eigenschaften können nur in einer Kulturgesellschaft entwickelt, gefördert und ausgebaut werden. Kunst und Kultur müssen im Wertekanon einer Gesellschaft einen ganz hohen Stellenwert einnehmen und es ist alles zu tun, um diesen Stellenwert zu erhalten und auszubauen.

Was bisher nicht geklärt wurde, ist, was denn überhaupt Kunst sei. Groß ist ihre Tradition. Aber weder Kunstschaffende noch Kunstkritiker sind imstande oder willens, eine befriedigende Antwort auf diese Frage zu geben. Indes es kann die schlechthin gültige Antwort auf die Frage „Was ist Kunst?“ ohnehin nicht geben, weil Kunst sich nicht in ein Regelwerk einbringen lässt, weil sie immer wieder ihre eigenen Grenzen in Frage stellt.

Auffassung und Wahrnehmung von Kunst unterliegen einem ständigen Wandlungsprozess. Was sich wandelt, lässt sich nicht festschreiben. Unverzichtbar ist der ständige Veränderungswille. Kulturschaffende nehmen weder Verhaltensweisen noch Strukturen als unveränderbar gegeben hin. Sie antizipieren vielmehr sensibel, was sich erst am Horizont abzeichnet. Nimmt man diese Aspekte bewusst auf, so können sich zwischen Unternehmenswelt und Kunst auch reziproke Lernmuster einspielen.

Die einen können lernen, dass die Notwendigkeit von Wandel gesellschaftlich und unternehmenswirtschaftlich selbstverständlich ist und zwar bis hin in die Psychologie der Führung menschlicher Verbände, die anderen können zeigen, dass man nicht von einem Tag auf den anderen alles umkrempeln kann, sondern dass auch Wandel ein geplanter, unter ökonomischen Hindernissen leidender Prozess sein muss.

Der berühmte Nationalökonom Josef Schumpeter sieht in der schöpferischen Zerstörung das Erfolgrezept der Markt- und Wettbewerbswirtschaft. Er bezeichnet den Unternehmer auch als Künstler.

Schumpeter sagt: „Er setzt den Daten gleichsam etwas hinzu. Er gibt ihnen neuen Formen und stellt sie in neue Zusammenhänge, so wie das der große schaffende Künstler mit den überkommenen Elementen der Kultur tut“.

In einer neuen Art von gemeinschaftlichem Kulturverständnis wird die Kunst zunehmend sogar als Avantgarde zur Ökonomie gesehen. Die Künstler wechseln vom Elfenbeinturm in den Kontrollturm. Das heißt, die künstlerische Avantgarde ist die Forschungs- und Entwicklungs-Abteilung der Wirtschaft.

Leider ist festzustellen, dass diese Entwicklung in der Theorie der Ökonomie noch wenig reflektiert ist. Dies wird noch Anstrengung bedingen und kann nicht in einem so plakativ kurzen Satz enden, wie ihn Beuys auf ein Bild malte, der lautet: „Kunst gleich Kapital“. Auch Andy Warhols ironische Reflexionen genügen nicht, nämlich dass „business the best art of all“ ist.

Business kann sich nicht nur am Shareholder Value ausrichten, sondern muss sich vermehrt in Vertrauen, Integrität, Kreativität und Qualität, in Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, sowie in sozialer und ökologischer Verantwortung ausdrücken.

Immaterielle Werte, Codes, Spielregeln und Verhaltensweise werden künftig eine noch stärkere ökonomische Bedeutung bekommen. Kurz – die Wertschöpfung verschiebt sich immer mehr von den Rohstoffen zu den Informationen, von der Arbeitskraft zum Wissen, den immer bedeutenderen Faktoren des Wettbewerbs.

Alle Kunst ist auf Kommunikation angelegt. Sie entfaltet ihren kommunikativen Charakter zwar nur im Moment der Anschauung.

Kunst ändert dabei das Wahrnehmungssystem. Bisher fehlte bei vielen Mitarbeitern und Führungskräften die Verbindung zwischen der traditionellen Fachkompetenz und der neu zu entwickelnden Sozialkompetenz.

Um die Informations-, Kommunikations- und Wissensströme des Unternehmens in eine Form zu bringen, transparent und überschaubar zu machen, ist Kreativität gefordert. Kreativität wird dabei als die Fähigkeit verstanden, aus konventionellen Denkgewohnheiten und Schablonen auszubrechen, die Dinge zu verrücken oder zu kombinieren und sie schöpferisch zu einem neuen Ganzen zusammenführen. Dass zum Erlernen dieser Fähigkeiten Grenzübertritte auf das Terrain der Künste unerlässlich sind, liegt auf der Hand.

Gerade die Künstler haben uns durch radikale Brüche auf diese Veränderungen hingewiesen. Zum Beispiel Picasso zeigt uns Gesichter zweidimensional, eine zuvor unvorstellbare Darstellung. Baselitz stellt seine Bilder auf den Kopf. Kandinsky zeigt nur noch ungegenständliche Farbstrukturen. Alles deutet auf die Umwertung traditioneller Werte.

Und was erleben wir in der globalisierten Welt? Künstler sind Wegweiser. Wer sich mit Kunst auseinandersetzt, ist weniger überrascht von radikalen Veränderungen in unserer Gegenwart und nahen Zukunft.

Kultur für alle wird künftig von Staat und Wirtschaft gemeinsam sichergestellt werden müssen. Es kann nicht das Ziel sein, staatliche Kulturförderung von ihrem finanziellen Umfang her einzuschränken oder gar auf sie zu verzichten. Aber die Zuordnung zwischen öffentlicher Kulturförderung auf der einen Seite, und kommerziellen Kulturangeboten auf der anderen Seite ist neu zu überdenken.

Der Staat muss eintreten, was sich wirtschaftlich nicht trägt, was aber nach allgemeiner Überzeugung für eine Kulturgesellschaft unverzichtbar ist. Aber auch die Förderung von Kunst und Kultur wird für Unternehmen zunehmend zu einem Bestandteil ihrer Unternehmenspolitik, sei es um gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, sei es um die Chancen zu nutzen, wie etwa das Kultursponsoring als Kommunikationsstrategie.

Wie schon gesagt, Kultur ist nichts Statisches, was einmal geschaffen ist und dann so bleibt. Kultur und ihre in ihr zusammengefassten Werte sind lebendig. Sie entwickelt sich weiter und verändert sich. Treiber in den Veränderungen, in den Wertvorstellungen, sind gerade Künstler, Intellektuelle und Wissenschaftler, die mit ihrer Phantasie, ihren Ideen und ihren Erkenntnissen Neues wagen, erfinden, ausprobieren, das Risiko des Scheiterns auf sich nehmen.

Das aber ist es, was Wirtschaft ebenfalls braucht. Der innovative Unternehmer lässt sich vielfältig inspirieren. Auch er denkt quer und kombiniert neu. Er braucht Kreativität und Mut. Solche Kreativität kann ihm ein lebendiges, künstlerisches und kulturelles Umfeld bieten.

Wir haben also wichtige Gründe, weshalb sich Unternehmer und Unternehmen mit Kultur einlassen sollen. Je mehr sie dafür auch ihre Mitarbeiter gewinnen können, umso größer ist die Chance auch deren Kreativität anzuregen, was von der Produktgestaltung, über das Design bis hin zum Vertrieb dem Unternehmen wieder zugute kommt.

Deshalb werden sich Unternehmen ganz eigennützig für Kultur engagieren, und sie durch Spenden und Sponsoring unterstützen. Leider wird meist auf sportliche Events und auf soziale Zwecke ausgewichen, was aber der eigentlichen Sache Kultur nicht dient.

Die Stuttgarter Zeitung vom 14. November berichtet über Bemühungen, Kultur als wichtige Zukunftsbranche zu sehen. In diesem Artikel wird unter anderem ausgeführt, dass der Kulturstaatsminister im Kanzleramt ein neues Referat für Kulturwirtschaft eingerichtet hat. Man meint damit das weite Feld der Wirtschaftsbetriebe, die Kunst und Kulturgüter produzieren und vermarkten.

Zur Kulturwirtschaft zählen danach selbständige Künstler ebenso wie Konzertagenturen, Privattheater, Filmfirmen, Verlage, Design und Architekturbüros. Wirft man sie alle in einen Topf, kommen imposante Statistiken heraus. So verdienen allein in Baden-Württemberg fast 100.000 Personen ihren Lebensunterhalt in der Kulturwirtschaft. In der Bundesrepublik sind es mehr als 750.000.

Dabei gibt es keine genauen Zahlen, denn viele Kulturschaffende verdienen so wenig, dass sie in der Umsatzsteuerstatistik nicht auftauchen. Aber in der Summe bilden die Kulturarbeiter eine volkswirtschaftlich relevante Größe.

Rechnet man nach angelsächsischem Vorbild die Bereiche Werbung, Software und Computerspiele hinzu, so erreichen die so genannten Creative Industries im Jahr 2005 einen Jahresumsatz von sagenhaften 121 Milliarden Euro. Sie erwirtschaften 2,6 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts, mehr als die Chemiebranche und fast so viel wie die Autoindustrie. Ein ehemaliger britischer Kultusminister meinte lakonisch: „Die Popindustrie bringt mehr ein als alle Stahlkocher der Insel zusammen“.

Gerade in den vergangenen Jahren sind sowohl der Umsatz, als auch die Beschäftigtenzahlen der Kulturwirtschaft überdurchschnittlich gestiegen. Vor allem Städte und Regionen, die unter dem Zusammenbruch alt eingesessener Industrien und Gewerbezweige leiden, richten große Hoffnungen auf die Kultur als Konjunkturlokomotive der Zukunft.

Es werden überall Kultur-Wirtschaftsstudien in Auftrag gegeben, um die versteckten Potentiale für den Tourismus, die Stadtentwicklung oder den Arbeitsmarkt aufzuspüren.

Dazu kommt, dass man in den EU-Gremien und im Bundestag bemerkt hat, dass die Kulturwirtschaft sehr spezielle ökonomische Strukturen aufweist. Sie wird nicht von Konzernen beherrscht, sondern besteht zum größten Teil aus kleinen Mikrounternehmen, die sich zäh am Markt behaupten. Auf 150.000 wird die Zahl in Deutschland geschätzt.

Während in der alten Bundesrepublik 2/3 der Kulturschaffenden durch feste Arbeitsplätze im öffentlich geförderten Kulturbetrieb abgesichert waren, arbeitet heute die große Mehrheit in privatwirtschaftlichen Verhältnissen oder als Freiberufler.

Also – schon diese Zahlen zeigen, wie bedeutend die Kultur mit der zunehmenden Internationalisierung der Märkte ist. So haben sich auch die Geschäftsaktivitäten und –felder der Unternehmen verändert. Die Akteure stammen aus kulturell verschiedenen Ländern, haben unterschiedliche Wertvorstellungen und zeichnen sich durch divergierende Denk- und Handlungsweisen aus.

Den damit verbundenen Ansprüchen wird allerdings in der Alltags-Wirklichkeit nur unzureichend entsprochen. Während Produktionsfaktoren wie Kapital, Know-How und Information durch die moderne Kommunikationstechnik mittlerweile zeitgleich überall auf der Welt verfügbar sind, gibt es noch gewaltige Defizite im interkulturellen Lernen und Verstehen.

Andere Länder – andere Sitten lautet der landläufige Ausdruck dafür, dass unterschiedliche Kulturen zu unterschiedlichen Handlungen neigen. Die Kultur hat Einfluss darauf, wie die einzelne Person sich sieht und bewertet. Das bedeutet, dass auch die Bewerter anderer Kulturen – sei es innerhalb der eigenen oder einer fremden Kultur – abhängig vom eigenen Kulturstandpunkt ist.

Es ist zweifelsfrei, dass die Beherrschung der entsprechenden Fremdsprache, die als Geschäftssprache zum Einsatz kommt, auch landeskundliches Wissen beinhalten muss. Bei der Erschließung der auf Auslandsaktivitäten gerichteten Kompetenz sind grundlegende Kenntnisse der tiefer liegenden Werte des fremden kulturellen Umfelds unabdingbar.

Künftig wird die Anzahl geschäftlicher Kontakte, bei denen die Akteure aus kulturell verschiedenen Ländern stammen, weiter zunehmen. Für deutsche Unternehmen bedeutet dies, sich stärker als bisher darauf vorzubereiten, dass zunehmend mehr Mitarbeiter aus anderen Kulturkreisen in den Unternehmensverbund zu integrieren sind. Interkulturelles Verständnis muss deshalb zu einer Selbstverständlichkeit werden.

Trotzdem - immer noch mehr als die Hälfte der Mitarbeiter wird nicht für ihren Auslandseinsatz interkulturell vorbereitet, was zur Folge hat, dass viele Auslandsengagements der Unternehmen scheitern, weil die deutschen Mitarbeiter für das neue Umfeld nicht genügend sensibilisiert oder den interkulturellen Ansatz nicht verstehen.

So heißt es zum Beispiel im Geschäftsbericht 2006 der Robert Bosch GmbH: „In jedem Land, das für die Produkte von Bosch gewonnen wurde, mussten die Mitarbeiter anders vorgehen. Vor allem galt es, die kulturellen Eigenheiten zu verstehen und zu nutzen“.

Für Unternehmen muss die Förderung für Kunst und Kultur zu einem festen Bestandteil ihrer Unternehmenspolitik werden, sei es, um gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, sei es, um die Chancen zu nutzen, die etwa das Kultursponsoring als Kommunikationsstrategie als Alternative zu den traditionellen Werbestrategien bietet.

Die Bedürfnisse einer Gesellschaft, die die Wirtschaft mit Waren und Dienstleistungen befriedigen will, haben durchweg einen kulturellen Hintergrund. Die Kultur einer Gesellschaft ist geprägt von Tradition und der Gesamtheit von Wertvorstellungen, von Verhaltensweisen und Gewohnheiten. Um adäquate Waren und Dienstleistungen anbieten zu können, muss die Wirtschaft die Bedürfnisse erkennen und muss deshalb auch den kulturellen Hintergrund nachvollziehen.

Bürgerliche Freiheiten und Wettbewerb sind wesentlicher Teil unserer demokratisch geprägten Wertordnung. Die wiederum ist in umfassende Werte einer Gesellschaft eingebunden. Und diese Werte sind es letztlich, die in ihrer Zusammensetzung die Kultur einer Gesellschaft ausmachen. Deshalb sollten sich Unternehmen und Unternehmer für ihr kulturelles Umfeld schon deshalb interessieren, weil es ihnen Existenzgrundlage und Existenzberechtigung ist.

Neue Partnerschaften für Kultur und Wirtschaft sollten aber nicht nur auf der finanziellen Ebene, sondern auch auf dem Bereich des Transfers von Kompetenzen entstehen. Mit dem Bronnbacher Stipendium „Kulturelle Kompetenz“ hat der Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie und die Universität Mannheim Wege bei der Ausbildung künftiger Führungskräfte aufgezeigt.

Davon ausgehend, dass für die Weiterentwicklung der Gesellschaft die kulturelle Kompetenz der Entscheidungsträger unverzichtbar ist, werden Stipendiaten der Universität Mannheim mit namhaften Referenten aus dem Kulturleben zusammen arbeiten, und ihr Ausbildungsspektrum um kulturelle Kompetenzen erweitern. Dies soll den Stipendiaten Zugang zu kreativen Prozessen und Problemlösungen verschaffen.

Auch das Projekt an der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart, das unter dem Titel „Art, Science and Business“ steht, ist in diese Richtung führend.

Es geht darum, Ideen aus den Künsten in die Wissenschaft und vor allem auch in die Wirtschaft zu transferieren. Also ein Forum für Begegnungen unterschiedlicher Disziplinen zu bieten.

Man darf aber nicht der Versuchung erliegen, der Kunst und Kultur Fesseln ökonomischen Zweckdenkens anlegen zu wollen. Kunst braucht Freiheit. Sie muss risikobereit sein, sich dem Gefälligen verweigern. Sie muss sperrig sein können. Sie muss scheitern können. Nur auf dem Boden der Freiheit kann sie ihre Potentiale entfalten und diejenigen Wirkungen erzeugen, von denen auch die Wirtschaft profitiert.

Deshalb ist es wichtig, dass es – ähnlich wie in der Forschung – neben einer wirtschaftsnahen angewandten Kunst auch weiterhin eine staatlich finanzierte und von wirtschaftlichen Zwängen unabhängige Kunst gibt.

Für unser Land ergibt sich daraus die Aufgabe, um ein verstärktes Engagement der Wirtschaft für die Kunst und Kultur zu werben, gleichzeitig aber an seinem traditionell starken Engagement für die Kunst auch in Zukunft festzuhalten.

Kunst als Kulturgut ist unverzichtbar. Die bildende Kunst regt alle unsere Sinne an. Sie lehrt uns Sehen, das genaue Hinschauen. Sie aktiviert unsere Phantasie, sie weckt unsere Emotion, sie macht Freude und sie provoziert. Kunst schärft unsere Wahrnehmungsfähigkeit, Kunst schafft Identität und ist Basis für Innovationsfähigkeit. Kunst macht unser Leben reicher, weitet unseren Horizont, erzieht zur Toleranz gegenüber Fremdem.

Gotthold Ephraim Lessing sieht dagegen auch die Zwecke der Künste ganz individuell auf den Einzelnen bezogen. So postuliert er: „Der Endzweck der Künste ist Vergnügen“.

Schließen möchte ich mit einem Wort von Ulrich Raulff, dem Leiter des Schiller Nationalmuseums und Deutschen Literaturarchivs Marbach:

„Die Kunst ist es, die dem Menschen erlaubt, mit sich bekannt zu werden, sie gewährt ihm die Erfahrung der Freiheit, der Schönheit und der Erkenntnis. Die Kunst ist das große Spiel, das dem Menschen die Welt erschließt“ (Raulff).

 
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